Ein offener Brief an Herrn Professor Doktor Günter Morsch, Leiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zum Bericht des ZEITmagazin zum Umgang mit Ingress-Portalen in Holocaust-Gedenkstätten wie Sachsenhausen, Dessau und Buchenwald.
Sehr geehrter Herr Professor Morsch,
mit großer Bestürzung habe ich die Berichterstattung über die Ingress-Portale in ehemaligen Konzentrationslagern gelesen.
Vielleicht sind die Zitate von Ihnen - presseüblich - umgeschrieben oder aus dem Zusammenhang gerissen, aber beispielsweise im Bericht der Zeit wird der Eindruck erweckt, dass es weder den Versuch eines Dialoges, noch ein Auseinandersetzen mit dem Thema gegeben hat. Das sind jedoch genau die Dinge, die Sie durch die Gedenkstätten zu erreichen versuchen - lediglich bei einem anderen Thema.
Vorurteile und mangelndes Interesse waren es, die überhaupt erst zur Errichtung der Konzentrationslager geführt haben und genau diese führen jetzt dazu, dass die Chance auf eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft leichtfertig zerstört wurde.
An anderen Gedenk- und Ruhestätten wurde dieser Fehler nicht gemacht, dort gab und gibt es einen Dialog zwischen Verantwortlichen auf beiden Seiten, der nicht nur zu einem dem Ort angemessene Verhalten, sondern auch zu Interesse und Wissenstransfer führt.
Ein ganz praktische Beispiel: Ohne Ingress wären meiner 6jährige Tochter weder zahllose Stolpersteine oder die Namen der Gewürdigkten aufgefallen, noch wüsste sie, dass in der Nähe ihres (ehemaligen) Kindergartens ein Gedenkstein steht und warum dieser dort aufgestellt wurde. Bei über eintausend bisher von ihr besuchten Portalen ließe sich diese Liste noch sehr lang fortsetzen.
So wird sie eines Tages mit Ihrer Klasse Bergen-Belsen besuchen und schon am nächsten Tag wird der Schulalltag das Gesehene und Gehörte schnell verblassen lassen. Ganz im Gegensatz zum Mausoleum von Gerhard Hoyermann oder dem Wilhelm-Busch-Museum, deren Portal-Keys sie wie viele andere bewusst aufhebt und bei denen sie die Bedeutung dieser Orte kennt.
Sie hatten die einmalige Chance, die Portale mit Hintergrundinformationen auszustatten und ggf. Positionen und Namen zu korrigieren, um eine interaktive Informationswelt zu schaffen und Ihr Anliegen - die Erinnerung an das was sich nie wiederholen darf wach zu halten - den heutigen Zeiten angepasst zu vermitteln. Leider wurde diese Chance nicht genutzt.
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Willing
Anlass war ein erschreckend oberflächlicher und in Details sogar falscher Artikel im ZEITmagazin.
Noch keine Kommentare. Schreib was dazu