Selten habe ich das Ende eines Buches so herbei gesehnt, wie bei diesem. Lea Saskia Laasner schreibt keine Fiktion, sondern erzählt ihr die Geschichte ihrer Jugend gefangen in einer Sekte. Hin und her gerissen zwischen eigenen Zweifeln und der Gehirnwäsche des Sektenführers, ab ihrem 13. Lebensjahr fast täglich schwer sexuell mißbraucht hat sie trotzdem überlebt und die Flucht geschafft.
Eine glückliche Familie
Das Buch beginnt mit der Kurzfassung ihrer Flucht und springt dann zu den Anfängen. Bereits in diesem ersten Kapitel bekommt der Leser einen oberflächlichen Einblick in das Geschehen und den Druck innerhalb der Sekte. Dann springt sie zurück zum Anfang. Bei allen Grausamkeiten, Lügen, Strafen war es doch dieses chronologisch erste Kapitel, dass mich am meisten geschockt hat.
Ich war noch ein Kind, wuchs in einem Dorf in der Schweiz auf. Der damals ländliche Ort war für uns ein überschauberer Flecken. Wir kannten alle Leute in der näheren und weiteren Umgebung. Wir waren stolz auf unser Dorf in dem der soziale Zusammenhalt funktionierte. Andres, mein Vater war ein angesehener Architekt und meine Mutter kümmerte sich liebevoll um uns. Und da waren natürlich noch die Eltern meiner Mutter, mit denen wir Wand and Wand wohnten. Wir gingen bei ihnen ein und aus als gäbe es keine Mauer zwischen unseren Häusern.
Das ist kein wörtliches Zitat, sondern eine grobe Zusammenfassung der Familie bevor alles begann, zusammengesetzt aus den Anfängen des zweiten Kapitels. Lea, ihr Bruder Kai und ihre Eltern lebten in einer schweizer Idylle. Finanziell sorgenlos und in einem engen sozialen Netz mit vielen Freunden und Verwandten in der Nähe. Trotzdem dauert es nur wenige Wochen, bis die Familie von der Sekte geschluckt wird.
Ein öffentlice Séance, dann ein vierwöchiger "Kurs" im Sekten - Refugium und schon integrierte sich die Familie vollständig in das Sektenleben. Aus dem Verkauf des Architekturbüros und des Wohnhauses bringen sie eine Million Franken - damals etwa 1,2 Millionen Euro - mit. Selbstverständlich ist individueller Besitz in der Gruppe dem Guru und seinem Medium vorbehalten, alles andere gehört der Gemeinschaft.
Mißbrauch
Nach diversen, wiederholten Fummeleien erklärt der knapp 40jährige Guru Benno der damals 13jährigen Lea ganz offen:
Ich würde natürlich liebend gern mit dir vögeln, du bist so wunderbar jung und knackig. Ich habe mir immer schon eine Jungfrau gewünscht.
Ihr zwei Jahre älterer Bruder wird im gleichen Atemzug mit dem ebenfalls viel älteren Medium zwangsverkuppelt. Beide Paarungen sind selbstverständlich vom sekteneigenen Geisteswesen Ramtha abgesegnet.
Das Ende
Selten habe ich das Ende eines Buches so sehr herbei gesehnt, wie bei diesem. Der fortwährende Mißbrauch spielt dabei nur eine Nebenrolle. Die Gewissheit, dass am Schluss die erfolgreiche Flucht steht, half sehr beim Weiterlesen. Etwa nach der Hälfte habe ich - ganz entgegen meinen Prinzipien - Google bemüht um den heutigen Stand zu erfahren. Arno W., der im Buch Benno genannt wird, wurde angeklagt und saß einige Zeit im Gefängnis. Seine Flucht endete schließlich, als er tot an einem südamerikanischen Strand gefunden wurde.
Leas Flucht hat die Sekte von innen heraus zerstört. Dem Führungspaar muss sofort klar gewesen sein, dass der jahrelange Kindesmißbrauch sie ins Gefängnis bringen würde und so flüchteten sie sehr schnell selbst.
Lea Laasner ist heute verheiratet, selbst Mutter und in den letzten Zügen ihres Psychologie-Master. Ihr ist die Flucht und vor allem auch die Rückkehr in ein normales Leben gelungen.
Fazit
Es ist unglaublich, aber gleichzeitig unzweifelhaft, dass ein wenig Charisma ausreicht, um so eine Gruppe willenloser Sklaven zu formen. Die Vorgänge innerhalb der Gruppe sind extrem, aber dennoch habe ich keinen Anlass, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln.
Das Buch ist lesenswert. Literarisch ließe sich das eine oder andere verbessern, aber darum geht es in diesem Buch nicht. Es ist eine Dokumentation, die nicht das Ziel hat, den Leser zu unterhalten. Allein gegen die Seelenfänger ist ein Lesetipp, aber nichts für zarte Gemüter.
PS: Gelesen als Ebook auf dem Handy. Klappt besser als erwartet, aber ob es besser als Papier ist, dazu habe ich noch keine Meinung.
2 Kommentare. Schreib was dazu-
payoli
31.01.2018 16:27
Antworten
-
Sebastian
31.01.2018 20:34
Antworten
Ich kenne dieses Buch nicht, denke aber seit einer kürzlich gesehenen Doku immer wieder beim Thema 'Missbrauch' auch an die andere Seite. Und das ist die Verkorkstheit, das sind die vielen, teilweise absurden Konventionen und Regeln, dieser Gesellschaft. Das heißt, Missbrauch ist oft nur deshalb Missbrauch, weil selbst Einfachstes und Harmlosestes verboten ist.
In besagter Doku ging es um eine junge Frau die ihrer Mutter schlimme Vorwürfe macht, ihr damals in der Kommune, in der sie zur Welt kam nicht geholfen zu haben gegen die sexuellen Übergriffe. Die Mutter rechtfertigte sich damit, dass die Tochter sich nie beschwert hatte, nie etwas Auffälliges zu beobachten war. Soweit, so Patt- Situation für den Zusehen.
Dann aber wurden die damals gemachten Filmaufnahmen eingespielt. Und was war zu sehen? Ein bestens gelauntes, lachendes Kind das sich ständig in die Nähe der 'Missbraucher' drängte ...
Wir finden den Bedeckungszwang der Haare im Islam absurd, akzeptieren aber ähnlich lächerliche Regeln völlig widerspruchslos. Als mich bei einem Kindergartenfest ein Bekannter mit meiner quiekenden Enkelin auf den Schultern sah, meinte er: 'Soetwas trau ich mich seit diesen vielen Übergriffsdebatten nimmer' ...
Es gibt bestimmt Grenzfälle, in denen unsere gesellschaftlichen Konventionen und die aktuellen Gesetze übers Ziel hinaus schießen, aber in diesem Fall ging es um handfesten, nicht wegzudiskutierenden Missbrauch. Wenn ein 40jähriger ein 14jähriges Mädchen als seine Bettgefährtin bestimmt, dann ist das nicht die Schuld der Gesellschaft und bestimmt keine Grauzone.
Was Du beschreibst, zeigt deutlich die Vielschichtigkeit der Probleme in einer solchen Sektensituation: Die Betroffenen verstehen erst viel später wenn sie den Absprung geschafft haben, was eigentlich mit ihnen gemacht wurde. Dass sich ein Kind in den Peiniger verliebt und die Bettgeschichten einfach erträgt, weil sie dazu gehören, halte ich für nicht unüblich.
Lies das Buch mal. Es zeigt natürlich auch nur eine Seite, die aber sehr eindrucksvoll.