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Missbrauch, Hackfleisch und das Internet

Wie würdest Du reagieren, wenn Dir jemand von einer Gewalttat gegenüber Minderjährigen erzählt? Was machst Du, wenn derjenige eine schwere Straftat ankündigt? Ist dabei relevant, ob die Androhung online oder in der realen Welt verkündet wurde?

Facebook-Gruppen gibt es zu allen möglichen (und einigen unmöglichen) Themen. In einer Eltern-Gruppe tauchte heute folgender Post auf:

Ohhh man wie ich so was hasse wie kann der Mensch das tun???
Auf sein eigenes Fleisch und Blut einschlagen so das es Nasenbluten bekommt!!!
Wenn ich den in die Finger bekomme dann ist der Hackfleisch

Diese Gruppe beheimatet ein sehr unterschiedliches Publikum. Nicht selten gibt es Diskussionen, ob das Jugendamt "Freund und Helfer" ist oder "nur das Ziel hat, Eltern ihre Kinder wegzunehmen". Gerne wird auch Scripted Reality ernst genommen, RTL als Quelle genannt oder sogar der Postillon24 ernst genommen. Immer wieder fällt es nicht nur mir sehr schwer, bei Posts ernst zu bleiben. Natürlich gibt es auch ernsthafte Fragen und interessante Diskussionen.

Zu dem zitierten Post gab es nichts weiter - keine Quellenangabe, keine weiteren Informationen zum Geschehen, kein Bild, das irgendetwas erklären würde. Ich habe - aus einer spontanen Laune heraus - einen ironischen Kommentar abgegeben und prompt den Ärger der Post-Autorin auf mich gezogen.

Autopsie der Wörter

fb_2014-10-13_18-20.jpgBetrachten wir die drei Sätze etwas genauer: Der erste schürt eindeutige Emotionen: Entsetzen, Abscheu und Verachtung sollen den Leser auf das Kommende einstimmen, ganz im Stil von heftig.co, aber vollkommen ohne Inhalt.

Der zweite Satz berichtet von Schlägen, die zu Nasenbluten geführt haben. Bei einer Online-Meldung bin ich immer vorsichtig: War es ein (Spiel-)Unfall? Oder Absicht? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass Nasenbluten (vor allem bei Kindern) gar nicht so selten ist. Mein Bruder hat als Kind regelmäßig getropft und auch Bea hatte Phasen, in denen sie öfters mal das eine oder andere Taschentuch rot gefärbt hat - alles ohne externes Zutun.

Der letzte Satz beinhaltet die Ankündigung einer Straftat. Nimmt man das Hackfleisch umgangssprachlich, dann handelt es ich im besten Fall um schwere Körperverletzung. Wörtlich genommen geht es um Mord mit anschließender Zerkleinerung der Leiche.

Ansichtssache

Missbrauch ist ein großes Problem, das ich keinesfalls runterspielen möchte. Ich kenne mehr als genug Opfer und zumindeste eines davon gibt sich bis heute - zehn Jahre nach der Tat - noch die Schuld daran, als Kind schwer missbraucht worden zu sein. Manchmal kann die Anonymität des Internets solchen Menschen helfen, das Erlebte zu verarbeiten - aber nicht durch einen Effekthascher-Post auf Facebook.

Der Post selbst enthält allerdings keinerlei belastbare Informationen. Eine Situation - sofern sie sogar einem Fernsehbildschirm entstammt - kann sehr schnell falsch verstanden werden. Wir konnten Beas Anfälle jahrelang am schnellsten beenden, indem wir sie aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Wie sieht es wohl aus, wenn Eltern ihr - für Außenstehende ganz normales - Kind einfach so schubsen, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten kann? Wenn nötig, auch mit Anlauf.

Würde ich diesen Post tatsächlich ernst nehmen, dann hätte die Autorin mich jetzt zum Komplizen einer Straftat gemacht: Ich wusste von der Absicht, einen anderen Menschen schwer zu verletzen oder sogar zu töten. Natürlich sind spontane Äußerungen auf Facebook selten ernstzunehmen, aber wer kann sich sicher sein, dass sie nicht jetzt gerade während ich diese Zeilen schreibe mit Axt und Kettensäge bei dem vermeindlichen Täter klingelt? Kann jemand mit Sicherheit sagen, wie ernst diese Zeile gemeint war?

Kurz darauf hat sie den Post sogar gelöscht. Um Beweise zu vernichten oder weil sie einfach nur genervt war?

Freundliche Besucher

Eine Bekannte hatte vor einiger Zeit unerwarteten Besuch von der Polizei. Die freundlichen Beamten wollten sie mitnehmen, zu ihrem eigenen Schutz. Es stellte sich heraus, dass jemand in einem Chat ihre Selbstmordankündigung gelesen und die Polizei alarmiert hatte. Sie durfte schließlich zu Hause bleiben, nachdem sie den Polizisten den Chatraum und den Kontext gezeigt hatte: Es war ein Chat-basiertes Onlinerollenspiel und ihr Rollenspiel-Charakter sah seine beste Option in seinem Abschied - seine Spielerin dagegen wollte einfach nur einen neuen Charakter aufbauen.

So einfach entstehen Missverständnisse. Hätte die Facebook-Autorin etwas mehr Informationen und weniger emotional geschrieben, dann hätte ich ihr ernsthaft geantwortet. Vermutlich hätte ich ihr empfohlen, das Gespräch mit dem scheinbaren Missbrauchsopfer zu suchen, vielleicht auch mit Lehrern oder Kiga-Betreuern und die Polizei oder das Jugendamt zu informieren - wenn sie sich sicher ist, dass es kein Missverständnis war. Denn echte Missbrauchsopfer brauchen Hilfe, die sie oft genug nicht selbst rufen können.

Sich in einer Facebook-Gruppe darüber aufzuregen, zählt in meinen Augen nicht als Hilfe. Es ist genau die Art von "wegschauen", die keinem hilft und am Ende Fremde zu Mitwissern einer Straftat macht oder zu Besuchen vom Freund und Helfer führt.

 

2 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Es spricht ja schon Bände, wes Geistes Kind jemand ist, der sich über Gewalt gegen Kinder aufregt (was sicher richtig ist, wenn sie erwiesen ist), doch andererseits selbst Gewalt propagiert.
    Solche Statement sind einfach nicht ernst zu nehmen. Und ein echtes Anliegen haben sie eben nicht. Sie sind nicht glaubwürdig.

  2. In meiner Welt gilt: Wissen ist Verantwortung. D.h. sobald ich weiss, dass jemand etwas plant, das jemand Anderem schaden kann oder das jemand bereits etwas solches getan hat, ist es meine Verantwortung damit umzugehen. Wenn das in meinem direkten Umfeld geschieht ist das eine klare Handlungsanweisung. Wenn Menschen, mir völlig unbekannt oder nur `virtuell` ihre scheinbare Unnahbarkeit oder Anonymität des Internets nutzen um eine Straftat anzukündigen oder davon zu berichten, dann kann ich das für mich nicht als `Wissen` verbuchen. In jedem Falle gilt: mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen und echten,menschlichen Kontakt wahren

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