Von Zeit zu Zeit bewege ich mich beruflich bedingt gen Süden. Nicht bis ins Land der Pizza, Pasta, Mode und politikbeherrschenden Freier minderjähriger Rubys, noch nicht mal bis zu Sacher Torte, Mozart's Kugeln, dem einzig wahren Schnitzel und dem letzten (bloggenden) Einhorn, nein, nur bis kurz hinter Frankfurt. Gerade weit genug, um unterwegs im Zug in Ruhe arbeiten zu können - wenn der denn nicht gerade streikt.
Die Hinfahrt am Mittwoch Morgen war absolut enspannt: Mein üblicher Hin-Zug entfiel zwar, aber zwanzig Minuten später fuhr ein anderer ICE nach Frankfurt. Erste Überraschung: Der Metronom (Anm. d. Red.: RegionalExpress-Betreiber) nach Hannover war nicht nur pünktlich, sondern auch ziemlich überfüllt. Voll ist er normalerweise schon, aber so voll habe ich ihn selbst zu Fußballspielen der weltbesten Mannschaft gegen die Ausländer, die freundlicherweise in der Bundesliga mitspielen dürfen nicht erlebt.
Der ICE kam auch pünktlich und ebenso in Frankfurt an. Der geplante ICE nach Darmstadt entfiel zwar, aber der ICE war so pünktlich, dass ich die Regionalbahn noch locker erwischt hab. Insgesamt eine Stunde mehr Fahrtzeit als ohne Streik, aber trotzdem ok.
Der Rückweg am Donnerstag gestaltete sich ungleich schwieriger: ICs fuhren Darmstadt gar nicht mehr an, die S-Bahn stand zwei Tage im Bahnhof rum, aber wenigstens fuhr genau eine Regionalbahn nach Frankfurt - pro zwei Stunden. In Frankfurt hatte ich knapp 10 Minuten Zeit, um den einzigen ICE Richtung Hannover in den nächsten zwei Stunden zu erwischen.
10 Minuten? Ich meinte 15. Ähhh, nein, 20. Dazu zeigte die Anzeigetafel "heute ohne Wagen 6". Natürlich war meine Reservierung "Wagen 6, Platz 25". Was auch sonst? Die positive Überraschung folgte dann beim Bahnsteig-Aufseher: Reservierungen aus Wagen 6 wurden in Wagen 2 und 3 umgebucht, einfach an den Zugbegleiter wenden. Also gab es anscheinend keinen Grund, selbst aktiv zu werden und umzubuchen (dank Bahn-App bis kurz vor Abfahrt problemlos möglich).
Auf dem Bahnsteig warteten Menschenmassen, wie ich sie in Frankfurt noch nicht auf einem Bahnsteig erlebt habe. Aber eine Reservierung - und sei es eine umgebuchte - lässt einen so etwas viel entspannter betrachten.
Der ICE kam und aus Wagen 3 stieg tatsächlich ein Zugbegleiter - der aber leider keine Ahnung von den durch ihn auszuführenden Umbuchungen hatte. So blieb mir und den anderen Betroffenen, die zu ihm geschickt worden waren, nur ein Platz auf dem - ziemlich überfüllten - Gang. Losfahren wollte der Zug aber trotzdem nicht und kurze Zeit später kam die Durchsage, dass der Zug überfüllt sei (ach - wirklich jetzt???) und so nicht fahren dürfe. Einige Fahrgäste sollten doch bitte aussteigen, vorzugsweise welche ohne Reservierung.
Besonders schön ist so eine Ansage, wenn der einzige andere Zug Richtung Norden - ein RegionalExpress - gerade den Bahnhof verlassen hat. So wurde es nicht nennenswert leere, aber irgendwann fuhren wir dennoch los. An vernünftiges Arbeiten war so natürlich nicht zu denken, zumal mein Laptop-Akku kaum mehr als eine Stunde ohne Steckdose aushält.
Der Metronom in Hannover war natürlich weg, als wir endlich dort ankamen, aber der nächste war dafür so pünktlich wie noch nie.
Die Bahn kann natürlich nichts für den Streik eines geltungssüchtigen GdL-Chefs einer Minigewerkschaft, die selbst kaum noch weiß, wofür sie eigentlich streikt. Ich habe auch durchaus Verständnis für ausfallende Züge und den Notfallfahrplan. Das die Bahn-eigene Suchfunktion alle ausgefallenen Züge trotzdem bei der Suche einbezieht und nur als "fällt aus" deklariert ist allenfalls unbequem.
Mein Verständnis nähert sich dagegen dem Ende, wenn bei einem der wenigen noch fahrenden Züge einfach so unterwegs ein Wagen verloren geht. Das kenne ich zwar von Zoe, die ihr Fahrradschloss gerne mal irgendwo in der Welt liegen lässt, aber so ein ICE-Wagen der sich urplötzlich mit einem leisen "plopp" in Luft auflöst - sind wir hier bei Doctor Who?
Noch weniger Verständnis habe ich dafür, dass keine ICE-Liebe gemacht wurde: ICEs können knutschen, also gekoppelt werden. Dann reicht ein nicht streikender Lokführer aus, um die doppelte Menge an Fahrgästen an ihr Ziel zu bringen. Wenn ein Zug bereits als "überfüllt" angekündigt wird und die Bahn selbst stolz verkündet, dass in Frankfurt jederzeit Ersatzzüge bereitstehen - warum kann man dann nicht kurzfristig (innerhalb von ein paar Stunden, die der Zug von Basel bis Frankfurt brauchte) flexibel reagieren und einen der Ersatzzüge mit dem einzig fahrenden ICE verkuppeln? Dann wäre auch der fehlende Wagen 6 kein Problem mehr gewesen: "Wagen 6 befindet sich im vorderen Zugteil."
Eine freundliche Nachfrage bei der Beschwerdestelle der Bahn wurde prompt nach ein paar Stunden beantwortet: Mit Textbausteinen, deren Verwendung ziemlich eindeutig darauf schließen lässt, dass meine Mail nicht mal richtig gelesen wurde.
Nein, ich bin nicht von Basel nach Frankfurt gefahren und ich glaube auch nicht so ganz an sorgfältige Planung der Kapazitäten, wenn nicht vorausgesagt werden kann, dass ein Zug stark belastet sein wird, wenn alle anderen streikbedingt ausfallen. Vollkommen unerwartet.
Das Servicecenter Fahrgastrechte darf sich jetzt tatsächlich mit meinen Problemen rumschlagen - aber die verlorene Arbeitszeit oder den dadurch (wenn auch nicht mir, sondern meinem Arbeitgeber) entstandene Schaden können sie mir auch nicht zurückbringen. Einmal mehr hinterlässt eine Bahnfahrt den Eindruck, dass lieber nachträglich Millionen für Entschädigungen aufgewendet werden, als diese im Vorfeld mit etwas Flexibilität zu vermeiden - zumal in diesem Fall der Streik nicht nur angekündigt war, sondern die Disponenten und Entscheidungsträger durch die vielen Ausfälle wesentlich weniger Züge als sonst zu managen hatten.
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